In Zeiten der Corona-Epidemie ist die Online-Kommunikation zu zweit oder in Gruppen existentiell. Dies gilt nicht nur um soziale Kontakte zu Familie und Freunden aufrechtzuerhalten, sondern auch um sich mit Schülern, Lehrern, Klassenkameraden, Arbeitskollegen, Kunden oder Auftraggebern auszutauschen. Hier folgt ein Überblick über Software, mit der dies für Menschen mit Behinderungen nach meiner Erfahrung am besten klappt.

Für den Hausgebrauch 🔗

Apple FaceTime 🔗

Wer vorwiegend im Apple-Ökosystem zu Hause ist, kann FaceTime nicht nur für Audio- und Videoanrufe zu zweit nutzen, sondern mit entsprechend modernen Geräten auch in Gruppen miteinander sprechen, Hausaufgaben machen oder anderen gemeinsamen Aktivitäten nachgehen. Die Audioqualität ist hierbei meist sehr gut, Video läuft bei entsprechender Bandbreite ordentlich.

Um einen Anruf zu starten, öffnet man FaceTime, geht oben rechts auf Hinzufügen, fügt die Teilnehmer hinzu und wählt aus, ob das ein Audio- oder Video-Anruf werden soll. Auch später lassen sich noch Teilnehmer hinzufügen, indem man im Anruf die entsprechende Option auswählt. Ggf. muss man das Anruf-Panel dafür erst wieder in den Vordergrund holen, es gibt dafür oben in der Statusleiste ein entsprechendes Symbol, das auch ordentlich für VoiceOver beschriftet ist.

FaceTime-Videochats werden auf allen Geräten unterstützt, auf denen iOS 13 läuft. Geräte, die nur bis iOS 12 beliefert werden, also z. B. Das iPad Air, iPhone 5s oder 6, sowie iPad Mini 2 und 3, müssen mit reinen Audio-FaceTime-Gruppenchats vorlieb nehmen. Es sind bis zu 32 Teilnehmer möglich.

Skype 🔗

Oh ja, die alte Tante Skype ist noch lange nicht tot! Sie ist, im Gegenteil, wohl eine der besten Anwendungen, um barrierefrei von verschiedensten Geräten (iOS, Android, Mac oder PC, oder sogar vom Browser aus) barrierefrei per Einzel- oder Gruppen-Audio- oder Videochat zu kommunizieren. Auch Bildschirm-Teilen-Funktionen gibt es in diesen Gruppenchats mit bis zu 50 Teilnehmern. Skype bietet, durch die Microsoft Cloud befeuert, auch Live-Untertitelung und auf Wunsch auch maschinelle Übersetzung von gesprochenen Worten an. Hier gibt‘s mehr Infos zu Skype Gruppenanrufen.

WhatsApp 🔗

Mit WhatsApp kann man bis zu drei andere Teilnehmer in einem Gruppenvideochat zusammenführen. Für kleine Gruppen ist dies also auch eine gute Möglichkeit, sich zu treffen. WhatSapp ist auf Android und iOS barrierefrei, die Webversion und entsprechende Desktop-App, die ein Telefon voraussetzt, ist es hingegen nicht wirklich.

Für größere Ansprüche 🔗

Die folgenden Plattformen wenden sich primär an Unternehmen, sind aber auch für Schulen und Privatpersonen geeignet, um Videokonferenzen mit gewissen Extras durchzuführen.

Zoom 🔗

Zoom ist ein echtes Wunderwerk. Man hat in der kostenlosen Version Videochats mit bis zu 300 Teilnehmern und 40 Minuten Länge. Die Bezahlversionen bieten mehr Teilnehmer und keine Längenbeschränkungen. Man erstellt ein Meeting und bekommt eine einzigartige Meeting-ID, die man dann teilen und somit andere einladen kann. Lediglich der Gastgeber braucht dabei einen Zoom-Account, alle anderen können sich auch ohne Account in ein Meeting einklinken, zu dem sie eingeladen wurden oder dessen Meeting-ID ihnen bekannt ist.

Zoom ist auf Windows, MacOS, iOS und Android verfügbar und überall weitgehend barrierefrei. Unter Windows gibt es manche Einschränkungen in Chat-Fenstern, wie z. B. Dass man Links in Nachrichten mit einem Screen Reader schlecht anklicken kann. Aber Video- und Audioanrufe, sowohl als Teilnehmer als auch als Gastgeber, sind wunderbar zugänglich. Die Bezahlversion bietet einige nette Extras wie das Aufnehmen von Tonspuren, dem Videochat als ganzes, und sogar das Speichern in Dropbox, falls der lokale Platz knapp bemessen ist. Wegen der Beschränkungen bei Chats empfiehlt es sich daher, einen zweiten Kanal wie Slack oder Skype für Chatnachrichten zu benutzen.

Zoom bietet in der Bezahlversion auch eine Untertitelung dessen, was die Teilnehmer sagen. Diese Funktion habe ich in der Praxis aber noch nicht ausprobieren können. Auf englisch gibt es von Jonathan Mosen ein 4-stündiges Audio-Tutorial zu Zoom, das zur Zeit kostenlos abgegeben wird. In diesem demonstriert er die Benutzung von Zoom mit einem Screen Reader. Er demonstriert auch die Bildschirmfreigabe, die ich auch schon genutzt habe, und auch, wie man einen iPhone-Bildschirm inklusive VoiceOver einem ganzen Meeting demonstrieren kann.

Slack 🔗

Slack ist der momentane Platzhirsch bei vielen Teams, die in der Hauptsache miteinander chatten wollen. Die kostenlose Version bietet schon sehr viele Möglichkeiten, die letzten 10.000 Nachrichten eines Slack Teams sind durchsuchbar, und es gibt Beschränkungen bei Teilnehmern und zu integrierenden Apps. Die Bezahlversion, die sich von der Philosophie her jedoch eher an Firmen oder andere Organisationen richtet, bietet je nach Preis viel mehr Features. Für viele Teams reicht die kostenlose Version aber aus. Man braucht nur eine E-Mail-Adresse und ein Passwort, um sich anzumelden. Einzig gewöhnungsbedürftig ist, dass diese Daten für jeden Slack-Workspace anders lauten können, aber nicht müssen, sie müssen aber für jeden separat angelegt werden.

Slack ist nach längerer Durststrecke endlich auf allen Plattformen zugänglich nutzbar. Slack bietet in der Bezahlversion zwar auch Anrufe, diese sind qualitativ aber nicht besonders hochwertig. Es empfiehlt sich daher eine Doppelstrategie mit Zoom und Slack zu fahren.

Microsoft Teams 🔗

Microsoft Teams ist wohl die zugänglichste Teamlösung von allen. Sie bietet integriert alles, was man braucht: Chats, Anrufe bzw. Konferenzen, Moderation, Kalenderintegration mit Outlook usw. Sogar wenn jemand anderes eine PowerPoint-Präsentation fährt, kann man die mit seinem Screen Reader mitverfolgen, als würde man sie selbst ablaufen lassen. Es gibt Live-Untertitelung nicht nur des Präsentierenden, sondern aller Teilnehmer direkt in Teams integriert.

Das einzige Problem ist: Die Bezahl-Version, die das alles bietet, ist Office-365-Business-Kunden oder ähnlichen Organisationen und Preisplänen vorbehalten. Und hierfür müssen alle Teilnehmer, außer temporär extern eingeladener, Teil derselben Firma oder Organisation sein. Das ist für Firmen, gerade solche, die eh im Microsoft-Ökosystem zu Hause sind, kein Problem, für Privatleute aber schon. Es gibt zwar auch eine sehr großzügig ausgestattete kostenlose Teams-Version, diese ist aber nicht ohne Schwierigkeiten dann auf eine kostenpflichtige Version aktualisierbar, wenn man mehr möchte. Allerdings ist die kostenlose Version auch die einzige, mit der man überhaupt als Privatperson andere privatpersonen mit deren E-Mail-Adresse zu Teams einladen kann.

Wünschenswert wäre hier also eine Art Plan für z. B. Zahlende Office-365-Home-Kunden, die dann relativ einfach Teams mit ein paar Optionen mehr als die kostenlose Version nutzen könnten. Von der Barrierefreiheit her ist Teams nämlich echt mit die tollste Zusammenarbeits-Anwendung, die ich kenne. Hier hat Microsoft wirklich einmal von vorn bis hinten das Thema Barrierefreiheit durchdekliniert. Und es ist schade, dass dies nicht allen zahlenden Office-Kunden, auch denen mit Home-Abonnements, zur Verfügung steht.

Fazit 🔗

Diese Liste ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was am Markt tatsächlich zur Verfügung steht. Viele weitere Lösungen wie Jitsi, Matrix, RocketChat oder Discord, die regelmäßig auftauchen, haben allerdings in irgend einer Form Probleme bei der Zugänglichkeit. Matrix ist mit dem Client Riot fürs Web hier zwar noch am weitesten gediehen, ist aber eben auch noch nicht uneingeschränkt nutzbar. Jitsi hat richtige Probleme. RocketChat klemmt auch an diversen Ecken noch, und Discord soll wohl angeblich inzwischen etwas besser zugänglich sein, aber da ich es selbst nicht nutze, kenne niemanden, der mich je danach gefragt hätte, und auch von anderen Blinden unterschiedliche Meinungen höre, wage ich hier keine qualifizierte Einschätzung.

Und auch nicht jedes Tool ist für jeden Anwendungsfall geeignet. Zoom und Slack sind z. B. Für viele Zwecke geeignet, aber dafür, sich mit der Familie zu treffen, sicher überdimensioniert. Da sind FaceTime oder Skype viel bessere Kandidaten. Teams könnte so eine tolle allumfassende Anwendung sein, und für viele könnte die kostenlose Version auch reichen, man muss halt nur aufpassen, dass man nicht versehentlich ein Upgrade kauft und bei 10 Teams (Familie, Schulkameraden, Freunde, Sportverein usw.) dann auf einmal für 50 User 12€ im Monat pro User zahlen muss.

Was bei fast allen Anwendungen gilt, bis auf FaceTime und WhatsApp, ist, sich mit den Tastaturkürzeln vertraut zu machen und ggf. Auch nach anderen Infos zur Barrierefreiheit auf den Support-Seiten zu suchen, gerade wenn man als Moderator einsteigen will oder sich zum Ziel setzt, auch anderen zu helfen. Microsoft, Slack und Zoom haben z. B. Für ihre Anwendungen ausführliche Hilfen zur Bedienung mit Screen Readern im Angebot. Und je komplexer und mächtiger die Anwendung, desto mehr gilt der Satz: Wer sich vorher informiert, hat hinterher weniger Schwierigkeiten bei der Einarbeitung. Auf iPhone oder iPad und Android ist das alles vielleicht noch übersichtlich, in den jeweiligen Desktop-Anwendungen oder den Browser-Web-Apps gilt aber, dass die Lösungen darauf ausgelegt sind, dass man sich mit ihren Bedienkonzepten vertraut gemacht hat und auch seinen Screen Reader beherrscht. Das sind aber Investitionen in die eigenen Fähigkeiten, die sich dann durchaus auszahlen, denn schließlich bedeuten sie einen höheren Grad an Teilhabe.

Ich hoffe, mit dieser Übersicht ein wenig dazu beigetragen zu haben, dass mehr von euch sich an Meetings, Bildungsangeboten o. Ä. Beteiligen können. Die Liste erhebt definitiv keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern speist sich hauptsächlich aus meinen persönlichen Erfahrungen. Ich nutze Skype, Zoom und Slack sehr regelmäßig, FaceTime sowieso, und Teams ab und zu, wenn ich z. B. Zu Meetings eingeladen werde. Außerdem arbeite ich seit 12 Jahren vom Heimarbeitsplatz aus und kenne somit einige Tücken und Vorzüge dieser Arbeitsweise schon seit langem. Ich möchte aber nicht verhehlen, dass die aktuelle Situation doch eine ganz andere Nummer ist, aber nicht nur im negativen Sinne, sondern auch im positiven.

Ich wünsche uns allen, dass wir gut durch diese Krise kommen, uns wenn möglich nicht anstecken, und wenn doch, die Krankheit dann gut überstehen! Insofern, haltet die Ohren steif! Und trefft euch regelmäßig zum Austausch. Es muss niemand einsam zu Hause sitzen, es gibt viele Möglichkeiten des Zusammenkommens übers Internet. Nutzt sie!