Es kommt wirklich sehr selten vor, dass man mich absolut sprachlos kriegt. Bei diesem Beitrag des Tatort-Autors und -Regisseurs Niki Stein in der FAZ war ich es. Ich bin einfach fassungslos darüber, wie ein Mensch, dessen Hauptbetätigungsfeld das geschriebene Wort ist, so konsequent lesen und nicht verstehen kann, wie es Herr Stein so eindrucksvoll demonstriert!

Vorweg eines: Ich bin kein Mitglied der Piratenpartei und stehe daher auch nicht für ihr Wahlprogramm gerade. ich bin jedoch jemand, der sich als „Digital native“ bezeichnet und der der Piratenpartei sehr viel Sympathien entgegenbringt, ja sich sogar vorstellen kann, bei der nächsten Wahl, für die sie zugelassen sind, an entsprechender Stelle auf dem Wahlzettel sein Kreuz zu machen.

Der Holzweg, auf dem sich Herr Stein befindet, wird schon beim ersten Zitat aus dem Programm betreten und konsequenterweise auch bis zum Ende nicht mehr verlassen. Herr Stein zitiert zunächst aus dem Programm:

Auf der Homepage der Piratenpartei steht unter dem Stichwort Transparenz: „Die fundamentale Chance des digitalen Zeitalters ist die Möglichkeit, Information ohne Kosten beliebig zu reproduzieren und zur Verfügung zu stellen. Die tradierten Wege, die Produzenten von Wissen und Kultur in Abhängigkeit von der Zahl der Kopien ihrer Arbeit zu entlohnen, sind dadurch ad absurdum geführt. Der Versuch, sie 1:1 in die Welt der Computer zu übertragen, benötigt einen Überwachungsstaat und müsste elementare Freiheiten jeden Bürgers beschneiden. Werden hingegen die Möglichkeiten der ständigen Verfügbarkeit und beliebigen Reproduktion des gesammelten Wissens der Menschheit genutzt, erhöht dies die Produktivität von Arbeitern der Informationsgesellschaft. Die größere Wiederverwertbarkeit steigert gleichzeitig die Effizienz des Schaffungsprozesses.“

Er führt dazu dann aus:

Ich versuche zu verstehen: Weil man theoretisch das von mir geschaffene Produkt Film im Internet beliebig oft reproduzieren und ohne Kosten zur Verfügung stellen kann, darf man mich dafür nicht entlohnen. Denn das Bezahlen der Nutzung würde einen Überwachungsapparat generieren, der die Freiheit des Einzelnen beschneidet.

Mit keinem Wort wurde gesagt, ihm als Urheber eines kulturellen Werkes solle nichts dafür gezahlt werden, dass ein von ihm geschaffenes Werk im Internet zur freien Verfügung stehen soll. Es werden hingegen dringend nötige Umdenkprozesse angestoßen, was die Geschäftsmodelle von Kulturschaffenden, Verwertern und Konsumenten angeht. Nur ist Herr Stein so dermaßen in seiner nicht nur auf einem Fuß hinkenden Kaufhausanalogie, die aus mehreren Gründen überhaupt nicht in den Schuh passt, der ihr angezogen werden soll, gefangen, dass er dies nicht versteht. Urheber sollen entlohnt werden! Das wird oben mit keinem Wort in Frage gestellt. Das Modell muss jedoch ein anderes werden, will man nicht weiterhin gegen das für Urheber, Verwerter und Konsumenten gleichermaßen schädliche Raubkopieren vorgehen. Eine angemessen hohe Entlohnung für das Erschaffen des Werkes und vernünftige, auf das Internet angepasste Verwertungsmodelle müssen für die Drehbuch- und Filmindustrie geschaffen werden, wie es sie ähnlich für Komponisten, Produzenten und Interpreten bei der Musik schon gibt. Apples iTunes Match ist ein mögliches Geschäftsmodell, wo man einmal jährlich als Konsument dafür zahlt, dass man seine Mediathek auf allen registrierten Geräten verfügbar hat und seine eventuell auch mit „sicherheitskopierten“ Inhalten versehene Mediathek auf eine komplett legale Basis stellt. Wäre das Vermarkten von Tatort-Episoden z. B. über Youtube oder andere Kanäle und die daraus resultierenden Einnahmen durch den Inhaltsanbieter gängige Geschäftspraxis, könnten heute für Filme, die schon in den 70er oder 80er Jahren gezeigt wurden und heute im regulären Fernsehprogramm nicht wiederholt werden, wieder Einnahmen erzielt werden. Liebhaber gibt es nämlich genügend!

Ich erspare mir und meinen Lesern jetzt mal weitere Zitate aus dem ewig langen Beitrag, die alle ihre Ursache und Schlussfolgerung in dem oben nicht verstandenen Passus haben.

Aber auf eine Sache muss ich noch eingehen, weil sie so prominent hervorgehoben wurde:

Und in dem heißt es dann, dass „Tatort“-Autoren für einen Film 25.000 Euro bekommen. Die Zahl stimmt. Was man aber wissen sollte, ist, dass ein Autor ein halbes Jahr an so einem „Tatort“-Krimi arbeitet. Dass er, wenn er Glück hat, jedes Jahr einen solchen Auftrag bekommt. Und dass er damit rechnen muss, von heute auf morgen nicht mehr gefragt zu sein. Er muss Rücklagen bilden, vielleicht Kinder versorgen, in Krankenkassen einzahlen, Steuern abführen, GEZ-Gebühren entrichten, kurz: Er muss von seiner Arbeit leben.

Erstens: Als frei schaffender Künstler ist Herr Stein mit diesem Risiko nicht allein. Dafür gibt es ja so Einrichtungen wie die Künstlersozialkasse usw.

Zweitens: Wenn er als Selbstständiger sein Geschäftsmodell auf genau eine Tätigkeit, nämlich das Schreiben von Tatort-Drehbüchern ausrichtet, ist das sein Problem, nicht das der Konsumenten.

Drittens: Ein halbes Jahr für ein Drehbuch? Die letzten Zehn Tatorte, die ich gesehen habe, durchweg Erstausstrahlungen, waren alles Beziehungstaten. Ohne Ausnahme. Kalter Kaffee einmal mit Süßstoff, einmal mit Zucker aufgerührt. Oder hat Herr Stein hauptsächlich für die Hamburger Tatorte seit Ende 2008 verantwortlich gezeichnet? Dann ließe sich das eventuell noch damit erklären, dass nicht nur die Zuschauer durch die willkürlich zusammengeschnittenen Szenen und Zeitsprünge nicht durchblicken, sondern auch der Autor schon beim Schreiben von seiner Kreativität völlig überfordert war. nachdem nach einem Monat dann die Story stand, Leiche am Anfang, Täter am Ende, wurden die restlichen fünf Monate damit verbracht, die Zeitschnipsel zu mischen wie Spielkarten?

Ja, das war jetzt polemisch, und das sollte es auch sein. Ich weiß von mehreren Autoren, nicht nur von Drehbüchern, sondern auch von Belletristik, dass sie immer mehr als ein Standbein haben. Dass gehört zu einer vernünftigen Geschäftsplanung. Das als Argument anzuführen, um in dieser unqualifizierten Weise gegen die Piratenpartei zu wettern, ohne verstanden zu haben, was Herr Stein gelesen hat, ist populistisch und lame.

Und noch eine Bemerkung zum Schluss: Diesen Beitrag von Herrn Stein las ich in diesem ach so bösen Internetz. Ich zahlte keinen Cent dafür, aber Herr Stein bekommt von der VG Wort ja auf jeden Fall einen Verrechnungsscheck dafür. Nicht nur für die Printausgabe, sondern auch durch die Werbeeinblendungen, die garantiert auf der Seite zu sehen waren. Ich bin jedenfalls froh, mit dem Altpapier dieser FAZ-Ausgabe nicht die Umwelt belasten zu müssen.