Christian Ohrens hat in seinem Blog einen Beitrag zu Blindismen veröffentlicht. Blindismen sind bestimmte Gesten und Körperbewegungen, die vor allem von seit Geburt oder im frühkindlichen Alter erblindeten Menschen erzeugt bzw. ausgeführt werden und auf Sehende oft befremdlich wirken können.

Ich selbst bin ebenfalls geburtsblind und habe mir das Augen Drücken nie ganz abgewöhnen können. Ich mache es hauptsächlich dann, wenn ich nachdenke, oder wenn ich gerade tatsächlich nichts mit meinen Händen anzufangen weiß. Sehende, so wurde mir erklärt, stützen dann gern das Kinn in die Handfläche, eine Haltung, die ich persönlich total unbequem finde. 😉

Behandlung von Blindismen 🔗

Ich stimme Christian zu, dass der Rat von Nonnenmacher, einen Blindismus vom Arzt behandeln zu lassen, schon sehr befremdlich ist. Das erinnert mich frappierend an diejenigen, die meinen, Autismus mit Dingen wie ABA „behandeln“ zu müssen. ABA gibt es in den USA übrigens auch für genau diese „Behandlung“ von Blindismen und ist genau so zu kritisieren.

Das einzige Mal, wo man meiner Meinung nach tatsächlich einschreiten sollte, ist, wenn durch das Augen Drücken die Augen gefährdet sind. Ich selbst lege die Fäuste leicht auf, meine Schwester hingegen bohrte sich tatsächlich die Daumen recht stark in die Augäpfel, was irgendwann bei ihr zu einem grauen Star führte. Da wurde dann tatsächlich daran gearbeitet, um zu verhindern, dass sie sich die Augen weiter schädigt.

Gesten und Mimik der Sehenden verstehen 🔗

Ansonsten bin ich der Meinung, dass man blinden Kindern definitiv nicht nur erklären sollte, wie Blindismen auf große Teile der Außenwelt wirken, sondern auch die Gestik und Mimik Sehender vermitteln sollte, soweit das möglich ist. Wurde bei mir auch gemacht, durch Eltern, Freunde, Verwandte, Erzieher und Lebenspartner. Einfach damit wir ein bisschen nachvollziehen können, wie Sehende agieren und uns vielleicht die eine oder andere Geste auch aneignen können. Nicht um Blindismen abzutrainieren, sondern um z. B. jemandem, den wir verabschieden und der mit einem fahrbaren Untersatz los fährt, auch so zuwinken zu können, dass derjenige die Geste auch genau so versteht und sich vielleicht drüber freut.

Ich persönlich wollte Gestik und Mimik von Sehenden verstehen, und während ich mir nur ganz wenige Gesten selbst angeeignet habe, merkte ich doch schnell, dass diese den Umgang von denjenigen Sehenden mit mir sehr entspannen, die keine Erfahrungen im Umgang mit Blinden haben. Es senkt einfach die Hemmschwelle, wenn wir mehr voneinander verstehen und lernen können und führt so zu besserer Integration in die Welt des jeweils anderen.

Manchmal nerven Blindismen oder Gesten 🔗

Es gab übrigens ein einziges Mal, wo mich der Blindismus eines anderen Blinden genervt hat. Das war zu meiner Internatszeit in Hamburg. Ich hatte damals einen Gruppenkameraden, der ca. 1,90 m groß war und durch sein Vor- und Zurückwackeln des Oberkörpers erhebliche Hebelwirkungen erzielen konnte. Wir hatten ein Sofa im Tagesraum, das nicht besonders stabil war. Und jedesmal, wenn ich neben ihm saß und das ganze Sofa sich in ein schaukelndes Boot verwandelte, hatte ich schlicht und einfach Angst, entweder seekrank zu werden oder mit ihm und dem Sofa einfach umzukippen. 😉

Auch bei einem weiteren Punkt kann ich Christian nur zustimmen, auf mich wirken manche gestikulierende Sehende auch befremdlich. Christian beschreibt das schön als Schattenboxen,. Und ja, es wundert auch mich wirklich, dass ihr euch da nicht öfter mal versehentlich gegenseitig eine klebt oder Dinge durch die Gegend feuert! 🙂 Wenn manche Leute neben mir sitzen und gestikulieren, wackelt das fast genau so schlimm wie das Sofa aus dem Tagesraum.

Fazit 🔗

Blindismen mögen auf viele Sehende befremdlich wirken. Aber auch andere Verhaltensweisen, Kleidungsstile, Haarfarben oder sonstige Merkmale wirken immer auf irgendwen irgendwie befremdlich. Sie sind aber nichts, wofür man sich schämen müsste. Nur wenn sie euch selbst nerven, versucht, sie euch abzugewöhnen oder wenigstens bewusst zu machen. Und wenn ihr bestimmte Gesten oder Mimik der Sehenden lernen wollt, tut das, fragt Personen eures Vertrauens, dass sie euch dabei helfen. Aber tut das, weil ihr es wollt und nicht weil irgendjemand es von euch verlangt.

Und vor allem: Geht damit nicht zu einem Arzt und lasst euch einreden, das müsse „behandelt“ werden. Der einzige Grund, der gilt, ist, wenn euch euer Blindismus selbst nervt und ihr ihn abstellen wollt.

Und nun nochmal an alle: Akzeptiert die Andersartigkeit des anderen Menschen. Seht ihn als Bereicherung, nicht als Bedrohung. Ein Blinder, der sich in den Augen bohrt oder mit dem Oberkörper wackelt, nimmt niemandem etwas weg. Ein Sehender, der beim Sprechen wild gestikuliert, genauso wenig. Und jemand mit grünen Haaren, einem Zungen- und Oberlippen-Piercing, der zufällig vielleicht auch noch autistisch ist, ist ebenso wenig eine Bedrohung für die Gesellschaft wie jemand mit Vollbart oder einem Turban.