Am 06.05.2008 nahm ich an der Fachtagung der Aktion Mensch „Einfach für Alle – Konzepte und Zukunftsbilder für ein Barrierefreies Internet“ teil. Die Aktion Mensch hatte mich als Experten für den Workshop 8: Web-Anwendungen – die Software im Browser eingeladen.

Nachdem wir Experten unsere Thesen vorgetragen und erläutert hatten, geriet der Workshop ziemlich schnell zu einer Frage- und Antwort-Stunde zwischen den anwesenden Webentwicklern im Publikum und uns. Es gab jede Menge Fragen zu ARIA (Accessible Rich Internet Applications) und deren Auswirkungen sowohl auf Browser- und Screenreader-Kombinationen, die es bereits unterstützen, als auch auf solche, die dies noch nicht tun. Sowohl Dr. Carlos Velasco als auch ich konnten deutlich machen, dass ARIA bereits heute angewandt werden kann, ja sogar sollte, um Web-2.0-Anwendungen barrierefreier zu gestalten. In Browsern, die dies noch nicht unterstützen, führt dies zu keinerlei nachteilen bei der Darstellung. Browser, die ARIA jedoch bereits unterstützen, wie der in Bälde erscheinende Firefox 3.0, können jedoch schon jetzt Vorteile daraus ziehen und entsprechend angereicherte/vervollständigte Informationen an die Screenreader weitergeben. Sobald andere Browserhersteller wie Opera und Microsoft nachziehen, werden solche Anwendungen automatisch barrierefreier, wenn diese Browser in den dann aktualisierten Versionen zum Einsatz kommen.

Es wurde weiterhin deutlich, dass es sowohl Web-2.0-Anwendungen wie gmail gibt, die von z. B. Blinden sehr aktiv genutzt werden, als auch solche, die noch echte Schwierigkeiten bereiten, wie Google Docs.

Einigkeit bestand darin, dass das Argument Barrierefreiheit nicht herangezogen werden sollte, um z. B. den Einsatz von javaScript oder Ajax zu unterlassen.

Und obwohl der Workshop zwischenzeitlich zu einer Frage- und Antwortstunde mutierte, schaffte es der Moderator Jo Bager, Redaktuer bei der C’T, am Ende doch, einige zusammenfassende Stichworte und vorausschauende Statements zu erarbeiten.

An jenem Vormittag besuchte ich einen weiteren Workshop als Publikumsteilnehmer: Zugänglichkeit und Mobilität. Dieser Workshop“ wurde von Martin ladstätter, Journalist und Redakteur bei BIZEPS – Zentrum für selbstbestimmtes Leben in Wien, geleitet. Als Experte erschien lediglich Herr Jochen Hahnen, Mitarbeiter im Kompetenzzentrum Kooperationssysteme des Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik. Der zweite angekündigte Experte, ein Herr Weber von der Fa. Microsoft, erschien nicht.

Herr Hahnen stellte eine Anwendung vor, die es mit Hilfe eines geeigneten handys ermöglicht, eine Wegstrecke in Form von GPS-Daten aufzuzeichnen und diese dann in ein dafür vorgesehenes Webportal hochzuladen. Die Zielgruppe besteht laut Herrn Hahnen aus Sportlern, die dieses Portal dazu nutzen können, sich im Vergleich zu anderen, die dieselbe Strecke laufen oder mit dem Rad abfahren, zu messen oder eine eigene Leistungskurve zu erstellen. Das Konzept der Anwendung und deren Möglichkeiten für Behinderte war für mich und viele andere Teilnehmer sofort klar ersichtlich: Auch Blinde und Rollstuhlfahrer könnten dieses System nutzen, um Mobilitätshilfen für bestimmte Streckenabschnitte zu geben. Es könnten Hinweise eingeflochten werden wie „hier befindet sich eine barrierefreie U-Bahn-Station“ oder „hier befindet sich eine Wanderbaustelle“.

Könnten, denn die Anwendung ist zur Zeit nicht barrierefrei nutzbar. Auch ist momentan fraglich, ob die Handyanwendung in Bälde für Blinde nutzbar wird: Sie läuft zur Zeit nur auf Windows Mobile und soll laut Aussage von Herrn Hahnen zu Beginn des nächsten Jahres auf Java portiert werden, um dann auch auf Nokia-Handys lauffähig zu sein. Der geneigte Leser erkennt aber sofort: Java-Anwendungen und die Symbian-Screenreader Talks und MobileSpeak sind nicht gerade bekannt dafür, die dicksten Freunde zu sein.

Da Herr Hahnen von vornherein erklärte, dass die eigentliche Zielgruppe Sportler sind, ist zumindest von hierher begründbar, warum auf die Barrierefreiheit sowohl des Webportals als auch der Handyanwendung kein besonderer Wert gelegt wurde. Ein Blinder joggt ja nicht allein, also kann auch das Handy von der sehenden Begleitung bedient werden, oder?

Die Diskussion entwickelte sich zu diesem Thema sehr lebhaft und durchaus konstruktiv. So wurde deutlich gemacht, dass diese Art Anwendung eben für Behinderte ganz erheblichen Sinn machen würde. Es hängt natürlich von der Community ab, dass Daten z. B. zu Baustellen o. ä. immer aktuell sind. Aber das Web 2.0 heißt ja nicht umsonst das Mitmach-Web.

Im Rückblick erscheint mir die Wahl des Produktes zum Thema etwas unglücklich. Herr Hahnen konnte einem zwischendurch sogar schon ein bisschen leid tun, weil immer wieder auf die Tatsache hingewiesen, um nicht zu sagen, Salz in die Wunde gestreut, wurde, dass die Anwendung nicht barrierefrei ist. Mir stellt sich die Frage, ob der Workshop dazu dienen sollte, dem Fraunhofer Institut einen Anreiz zu geben, die Anwendung dahingehend zu erweitern und barrierefrei zu gestalten, dass zur Zielgruppe zukünftig auch Behinderte zählen können. Oder alternativ: Wurde sich im Vorhinein nicht hinreichend über das Produkt informiert, so dass gar nicht klar war, dass die Anwendung für den Personenkreis der Behinderten eigentlich gar nicht konzipiert ist? Diese Frage blieb der Workshop schuldig.

Den Rahmen der Veranstaltung bildeten sowohl die Vorstellung einer Studie zum Nutzerverhalten Behinderter im Web 2.0 als auch der Startschuss zum Biene-Award 2008. Was die Studie angeht, so konnte ich feststellen, dass ich voll im Trend zu liegen scheine: Ich nutze das Internet als Blinder tatsächlich viel zum Bestellen von Waren, bin kreativ im Umgehen von Barrieren, auf die ich stoße, und Captchas empfinde ich ebenfalls als lästigste Barriere, die das Web so zu bieten hat.

Weiterhin musste ich feststellen, dass die überwiegende Mehrzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich schon kannten und das ganze fast ein bisschen wie ein großes Familientreffen wirkte. Ich selbst kannte bis dahin nur sehr wenige Teilnehmer persönlich. Als New Kid on the Block wurde ich sehr freundlich aufgenommen.

Abschließend möchte ich noch auf einen Artikel bei Heise Online hinweisen, der eine gute Zusammenfassung der Veranstaltung und ebenfalls ein paar Links zur Veranstaltung und zum Biene-Award enthält.

Ich möchte der Aktion Mensch sehr herzlich für die Einladung danken! Es war eine sehr bereichernde Erfahrung.