[Update 28.05.2019] iOS 12.3 ist inzwischen erschienen und hat diese Optionen wieder entfernt. Sie basierten auf veralteten Spezifikationen des Accessibility Object Model (AOM).

iOS 12.2 erschien am 25.03.2019 und bringt eine neue Einstellung in der Bedienungshilfe VoiceOver mit. Diese ist standardmäßig eingeschaltet, mit schwerwiegenden Implikationen für die Privatsphäre.

Die Einstellung findet sich unter Einstellungen/Allgemein/Bedienungshilfen/VoiceOver im neuen Unterpunkt „Web“, der neu ganz am Ende der Liste der Einstellungen hinzugekommen ist. Sie heißt Bedienungshilfen-Events und ist standardmäßig eingeschaltet. Apple selbst erklärt darunter die Einstellung wie folgt:

Die Option „Bedienungshilfen-Events“ ermöglicht es Websites, ihr Verhalten für Hilfstechnologien wie z. B. VoiceOver anzupassen. Wenn die Option aktiviert wird, zeigt sich, ob auf deinem iPhone Hilfstechnologien aktiv sind.

Im Klartext heißt dies, dass, sofern diese Einstellung nicht geändert wird, jede Webseite, die ihr mit dem Safari besucht, abfragen kann, ob VoiceOver oder eine andere Hilfstechnologie des iPhones aktiv ist und darauf reagieren. Im am wenigsten schlimmen Fall kriegt ihr nur eine Nur-Text-Version. Die 1990er haben angerufen und wollen ihren Lynx-Browser zurück. Im schlimmsten anzunehmenden Fall jedoch werdet ihr aktiv diskriminiert. Entweder werden Angebote nicht angezeigt, weil man euch aufgrund einer vermeindlichen Behinderung nicht für geschäftsfähig hält, oder es werden schlicht und einfach Daten erhoben, die einem gierigen Chefetagen-Menschen zeigen, wie viele oder wenige Leute mit einer vermeindlichen Behinderung die Webseite besuchen. Daraufhin trifft dieser gierige Chefetagen-Mensch dann die Entscheidung, dass es gar nicht nötig ist, die Webseite in Zukunft zugänglich zu machen. Andere Dinge sind viel wichtiger, um seine Taschen mit dem nächsten Quartalsbonus noch weiter zu füllen als die paar Behinderten, die eventuell mal zufällig auf der Seite seiner Firma vorbeischauen könnten.

Es wird hier also aktiv mitgeteilt, ob ihr eine Behinderung haben könntet. Das ist ein Fakt, der, meiner Meinung nach, keinen Webseitenbetreiber etwas angeht, es sei den, ihr entschließt euch dazu, es selbst mitzuteilen, weil es z. B. eine Ermäßigung gibt. Aber ohne weitere Zustimmung dies automatisiert mitzuteilen halte ich für höchst verwerflich. Das zusammen mit den Möglichkeiten des Browser-Fingerprintings, also der eindeutigen Identifizierung durch diverse Verfolgungs-Techniken, ermöglicht auch politisch nicht freundlich gesinnten Organisationen eine aktive Verfolgung von Menschen mit Behinderung im Web.

Diese Idee ist nicht neu. Schon 2013 gab es im Rahmen des damaligen IndieWeb-Projekts Bestrebungen, unter anderem betrieben von Apple, eindeutig identifizierbar zu machen, ob jemand, der eine Webseite besucht, einen Screen Reader oder ähnliches verwendet. Das Projekt scheiterte, unter anderem auch wegen Blog Posts von Léonie Watson, mir und einigen anderen Aktivistinnen und Aktivisten, die sich ganz klar gegen eine solche Praxis aussprachen.

Dass Apple jetzt einen eigenen Weg geht und Nutzern im Rahmen eines eigentlich kleineren Updates diese weitreichende Änderung unterjubelt, ist ein sehr schändliches Verhalten. Es musste dafür nicht mal eine neue Version einer Datenschutzrichtlinie für diese doch sehr persönliche und personenbezogene Angabe erteilt werden. Ich halte das für sehr sehr üble Geschäftspraxis, die allem entgegen steht, was Apple öffentlich so über Nichtdiskriminierung oder ähnliches sagt. Der Grundsatz „Don’t be evil“ (sei nicht bösartig“ scheint im Silicon Valey allgemein nicht mehr zu gelten.

Meine Empfehlung also: Nach dem Update sofort diese Option abschalten und regelmäßig kontrollieren, ob weitere Updates sie nicht vielleicht doch wieder aktivieren.

Nachtrag 🔗

Per E-Mail erreichte mich soeben der Hinweis, dass auch das MacOS Update auf 10.14.4, das am gleichen Tag erschien wie iOS 12.2, diesen Eintrag enthält, im VoiceOver Dienstprogramm, Unterpunkt Web, auf der Registerkarte Allgemein. Also auch mac-OS-Nutzer, die VoiceOver laufen haben, übermitteln im Safari zukünftig standardmäßig diese Information an Webseiten. Vielen Dank an Peter für den Hinweis!