Google kennt wohl jeder meiner Blogleser, und viele nutzen es auch täglich, um eine Suche damit auszuführen. Doch Google ist seit langem schon viel mehr als nur eine Suchmaschine. Schon fast zehn Jahre gibt es den Dienst GMail (früher in Deutschland GoogleMail), den Kalender und die Kontaktverwaltung gibt es ebenso lange. Später kamen dann auch webbasierte Office-Alternativen wie Docs für Textverarbeitung, Sheets für Tabellenkalkulation und Slides für Präsentationen hinzu.

Das ganze wird eingerahmt vom Dienst für Dateispeicherung namens Google Drive. Abgerundet wird das Angebot von Forms zur Erstellung von Formularen/Umfragen und Sites, einer App zum Erstellen von eigenen Webseiten.

Das ganze gibt es sowohl für Privatanwender kostenlos, als auch im Regierungs-, Universitäten- und Firmenumfeld mit eigenen Domains als kostenpflichtige Cloudlösung.

Dabei ist Google nicht der einzige Anbieter solcher mehr oder weniger umfassenden Lösungen in der Cloud. Apple und Microsoft haben mit iWork für iCloud bzw. OneDrive und Office 365 ebenfalls ähnlich gelagerte Dienstesammlungen im Portfolio. Der Unterschied ist, dass Google damit im Web anfing und sich später auf mobile Geräte und in Einzelfällen auch den Desktop erweiterte, während Apple und Microsoft den anderen Weg gingen, also auf Desktops und Mobilgeräten anfingen und sich dann ins Web ausbreiteten.

Googles Marktführerschaft ist sicherlich auch auf diese Tatsache zurückzuführen: Wer schon früh in die Cloud wollte, kam an Google nicht vorbei. Außerdem sind die Produkte einfach zu handhaben und sehr integriert.

In Universitäten und auch im Arbeitsumfeld werden Googles Business-Dienste immer mehr zu Alternativen zu selbst gehosteten und aufwendig zu pflegenden Serverfarmen. Sie haben das Knowhow, die Ressourcen, die Server ausfallsicher am Laufen zu halten (Google spricht von einer 99,99%igen Verfügbarkeit), und man kann sich auf das konzentrieren, was man eigentlich will, nämlich arbeiten, forschen, neue Ideen in die Welt tragen.

Aber wie sieht es hier mit der Barrierefreiheit aus? Wie sicher sind Studien- und Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen, in diesem Fall vor allem Blinde, wenn die Uni oder der Arbeitgeber auf die Dienste von Google umsteigt?

Die gute Nachricht ist: Gar nicht mal schlecht! Googles Abteilungen für die Webentwicklung der verschiedenen Produkte haben in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte bei der Programmierung ihrer Webseiten und Webapplikationen nach Standards gemacht. Im Gegensatz zu manch anderen Abteilungen, deren Produkte in diesem Blog anderweitig auch schon ausführlich behandelt wurden, ist die Webentwicklung tatsächlich auf eine möglichst breit gefächerte Unterstützung ausgelegt und hält sich sehr an gängige Standards wie HTML5, WAI-ARIA usw., um eine zugängliche Lösung zur Verfügung zu stellen.

Im folgenden sollen nun einige dieser webbasierten Apps näher betrachtet werden, und ich werde einige Tipps zur Benutzung geben und die Links zu den sehr guten und ausführlichen Anleitungen zur Benutzung der verschiedenen Produkte mit Screen Readern beifügen. Ich verzichte hier ganz bewusst darauf, die Funktionsweisen selbst noch einmal zu beschreiben. Zum einen muss ich nicht wiederholen, was schon gut dokumentiert wurde. Zum anderen wird die Dokumentation ständig den neuesten Entwicklungen angepasst, so dass man beim neuerlichen Nachschlagen immer auf dem neuesten Stand ist.

Die wichtigste Grundlage 🔗

Die wichtigste Grundlage für alle folgenden Abschnitte ist jedoch eine, die zunächst mit den Aps von Google gar nichts zu tun hat. Sie betrifft die allgemein gültige Regel: Beherrsche Deinen Screen Reader und Deinen Browser! Google selbst empfiehlt für die Benutzung seiner Apps unter Windows moderne Browser wie Firefox oder Crome, oder IE ab mindestens Version 9. Auch muss für viele der Webapplikationen der Screen Reader den Standard WAI-ARIA unterstützen, also in der Lage sein, die erweiterte Semantik für angereicherte Internetanwendungen zu interpretieren. Sehr populäre Vertreter hierfür sind der freie und quelloffene Screen Reader NVDA und der immer noch marktführende kommerzielle Screen Reader JAWS. Mir wurde auch berichtet, dass Cobra in der aktuellsten Version inzwischen gut mit Google Apps umgehen kann. Man sollte aber auf jeden Fall den Auto-Updater einschalten, um zeitnah Updates zu bekommen, die die Kompatibilität weiter verbessern. Nach meiner Erfahrung ist man mit Window-Eyes und HAL/SuperNova leider viel schlechter dran, weil diese im deutschsprachigen Raum ebenfalls gängigen Screen Reader die Standards bei weitem nicht so sehr unterstützen wie dies für ein effektives Nutzen der Apps nötig ist. Auch Google’s eigener Screen Reader für den Browser Chrome, ChromeVox, unterstützt sämtliche Anwendungen natürlich im vollen Umfang.

Und fürs Kennen des Screen Readers ist es unerlässlich, nicht nur zu wissen, dass man mit TAB durch eine Seite navigieren kann. Die Kenntnis der verschiedenen Modi wie Browse-Modus oder virtueller Cursor auf der einen oder Fokus- oder Formularmodus auf der anderen Seite und z. B. die wichtigsten Schnellnavigationstasten im Browse- oder Virtuellen-Cursor-Modus sind unerlässliche Grundkenntnisse, ohne die das Arbeiten in solchen Apps schnell sehr frustrierend werden kann.

Auch sollte man wissen, wie man mit bestimmten Steuerelementtypen umgeht. Dass man z. B. in einer Baumansicht mit Pfeil rechts zugeklappte Elemente öffnet und mit Pfeil links wieder schließt, dass man durch Menüs in der Regel in allen vier Richtungen navigieren kann, usw. Ich empfehle also dringend das Studium zumindest eines Teiles der Dokumentation des eigenen Screen Readers zum Thema Surfen im Internet oder ähnlich betitelter Themen, sowie das Studium der wichtigsten Tastaturbefehle. Ohne dies geht es einfach nicht! Und wenn man nicht so gut im Selbststudium ist, sollte eine Schulung hierzu beantragt werden. Gerade im Arbeits- oder Studienumfeld bei solchen tiefgreifenden Veränderungen kann man dies in der Regel vom Sozialträger finanzieren lassen.

So, und nachdem das nun geklärt ist, legen wir mal mit den Apps los!

GMail 🔗

GMail oder früher Google Mail ist eine der am häufigsten verwendeten Google Apps neben der Suche. Die Webversion gibt es in zwei Varianten: Der Standard- und der Basis-Variante. Ich empfehle unbedingt die Standardvariante zu nutzen, da diese alle Features bietet, während die Basis-Variante im Funktionsumfang stark beschnitten ist.

Im Gegensatz zu herkömmlichen E-Mail-Programmen, mit Ausnahme vielleicht neuerer Versionen von Apple Mail, setzt GMail voll auf einen konversationsbasierten Ansatz. E-Mails tauchen also im Posteingang oder in sogenannten Labels, die anderswo Ordnern entsprechen, nicht chronologisch nach Absendedatum sortiert auf. Vielmehr wird versucht, die empfangenen und auch gesendeten E-Mails so anzuzeigen, dass man dem Gesprächsverlauf auf eine möglichst produktive Weise folgen kann. Dies hat auch den Vorteil, dass man sich gedanklich zu einer Zeit auf ein Thema konzentriert und nicht ständig im Kopf hin und her schalten muss. Bei der Anzeige setzt GMail auch auf das Ausblenden bereits gezeigter oder zitierter Nachrichtenteile, wenn es sich um sogenannte Vollquotes handelt, der neue Text also oben in einer Mail erscheint. Dies ist heute im Firmenumfeld gängige Praxis, teilweise sogar gesetzlich vorgeschrieben, um die vollständige Dokumentation eines Gesprächsverlaufs sicherzustellen. Lediglich in privat betriebenen Mailinglisten ist häufig noch das auszugsweise Zitieren gefordert, wird auf der sog. Netiquette bestanden. Aber auch hiermit kommt GMail in der Regel gut klar und unterstützt selbst auch das Zitieren von Mails auf diese Art.

GMail setzt allerdings standardmäßig auf angereicherte Mailinhalte, also HTML und nicht reinen Text. Dies hat unter anderem den Grund, dass semantisch angereicherter Mailinhalt im Web auch besser darstellbar ist als ein auf 80 Zeichen pro Zeile festgenagelter Text.

Neben der Webansicht unterstützt GMail jedoch auch den Zugang per IMAP- und SMTP-Protokollen. Man kann also mit E-Mail-Programmen wie Apple Mail, Thunderbird, Outlook oder Windows Mail auf sein GMail-Konto zugreifen. Allerdings verliert man in diesem Fall die konversationsbasierten Ansichten bzw. kann diese nur nutzen, wenn das eigene E-Mail-Programm dies auch unterstützt.

Auch Apps für iOS und Android gibt es für GMail von Google direkt. Die iOS-Version läuft inzwischen mit VoiceOver sehr brauchbar, die Android-Version ist nach Aussagen verschiedener Leute in den Social-Media-Kanälen von schwankender Qualität. Aber auch hier gilt: Mobile E-Mail-Clients können per IMAP und SMTP zugreifen.

Googles Dokumentation zu GMail beschreibt die verschiedenen Aufbauten und Vorgehensweisen im Standard-GMail-Interface sehr anschaulich und gibt auch Tipps und Hinweise zur effektiven Benutzung mit Schnellnavigationstasten bei aktiviertem virtuellen Cursor. Ich empfehle definitiv, sich mal daran zu trauen, seine Mail für eine Zeit im Browser zu bearbeiten, um es einfach mal auszuprobieren. Vielleicht gefällt einem ja diese Arbeitsweise!

Kontakte 🔗

Die Kontakte werden in keinem Hilfethema gesondert dokumentiert, sind aber zugänglich. Für verschiedene E-Mail-Programme gibt es auch Plugins oder Erweiterungen, oder im Fall von Apple sogar eine native Unterstützung, um diese von Desktops oder Mobilgeräten aus zu verwalten.

Kalender 🔗

Auch der Google Kalender im Web wurde in letzter Zeit zumindest in Teilen deutlich zugänglicher. Aber auch hier gilt, wer lieber seinen Desktop- oder Mobilkalender nutzt, kann per Standardprotokollen darauf zugreifen. Die Dokumentation zu Google Kalender gibt Hinweise zur Bedienung der Webanwendung.

Drive 🔗

Google Drive ist der Cloudspeicher für E-Mails, Kontakte, Dokumente aller Art und theoretisch jede andere Datei, die man mit den Drive-Apps für Mac oder Windows oder die Mobilbetriebssysteme iOS oder Android auf dieser internetbasierten Festplatte speichern möchte. Alle Dokumente, die man in Docs & Co. erstellt, alle Anhänge, die man im Browser aus Mails heraus speichert, werden in Google Drive gespeichert und sind sofort verfügbar und durchsuchbar.

Google Drive ist im Web vollständig mit Screen Readern zugänglich und nutzt sehr extensiv den WAI-ARIA-Standard, um ein Quasi-Desktop-Feeling, das der Sehende hat, auch Screen-Reader-Anwendern zur Verfügung zu stellen. Diese Einstiegsseite für Drive mit Screen Readern bietet alle Links zu Unterdokumenten, die genau erklären, wie man mit Drive arbeitet. Wichtig ist hierbei, dass Drive eine so stark dynamische Webanwendung ist, dass es sich empfiehlt, den virtuellen Cursor auszuschalten (bei NVDA mit NVDA-Taste+Leertaste) und Drive mit den von Google zur Verfügung gestellten Tastenkombinationen zu bedienen. Man sollte es quasi wie eine Desktop-Anwendung bedienen, in der es ja auch bis auf wenige Ausnahmen keinen virtuellen Cursor gibt.

Docs & Co 🔗

Dies gilt übrigens auch vollständig für alle von Drive erreichbaren Office-Anwendungen Docs, Sheets, Slides, Forms und Sites. All diese Anwendungen bieten eine sehr stark desktop-ähnliche Oberfläche und extensive Tastaturkürzel. Die Interaktionen erwarten sogar, wie das auch dokumentiert ist, dass der virtuelle Cursor ausgeschaltet ist.

All diese Anwendungen haben eine Menüleiste mit Untermenüs, einen Dokument-Hauptbereich und je nach Funktion Dialogfelder. Eine Faustregel ist, dass ein ein- oder mehrmaliges Drücken der Escape-Taste einen immer in den Dokumentbereich zurückbringen sollte, wenn man sich mal „verlaufen“ hat oder der Fokus verloren geht. Auch muss einmalig der Screen-Reader-Support aktiviert werden. Dies passiert in der Regel durch das Drücken der Tastenkombination Control+Alt+Z.

Hier findet Ihr die Anleitungen für die Benutzung mit Screen Readern für Docs, Sheets, Slides, Forms und Sites.

Hinweis! Manche Google-Dokumentationsseiten behaupten fälschlicherweise noch, dass Forms noch nicht mit Screen Readern bedienbar sei. Diese Info ist veraltet, wie an der oben verlinkten Dokumentation unschwer zu erkennen ist. Dies gilt auch für den Administrator’s Guide to Accessibility, der das ebenfalls noch fälschlicherweise erwähnt. Wenn Ihr Forms also in Eurer Umgebung braucht, könnt Ihr Euren Admin gern auf meinen Blogbeitrag verweisen oder ihr/ihm den Link zur Forms-Doku schicken. 🙂

Ein Hinweis zu Braille in Docs: Docs unterstützt seit Ende Juni 2014 auch das Lesen und Schreiben mittels einer angeschlossenen Braillezeile. Diese Unterstützung muss allerdings erst aktiviert werden, ist dann aber eine permanente Einstellung. Die Dokumentation zu Braille in Docs ist beim Erstellen dieses Artikels noch nicht ins Deutsche übersetzt. Außerdem funktioniert sie zur Zeit (Mitte Juli) nur in Internet Explorer und Chrome, noch nicht in Firefox, aber wir arbeiten dran. 😉

Schlussbemerkungen 🔗

Man kann mit Fug und Recht sagen, dass man vor einer Umstellung oder einem neuen Job, in dem GMail und Google Docs als Arbeitsmittel eingesetzt werden, als Blinder keine Angst mehr haben muss. Die Zugänglichkeit hat sich im letzten Jahr in all diesen Bereichen erheblich verbessert und wird kontinuierlich weiter entwickelt. Da es sich bei der Sammlung an Anwendungen um zentral von Google verteilte Systeme handelt, kommt jeder automatisch in den Genuss von Neuerungen, ohne dass lokal irgend etwas extra installiert werden müsste. Es sind also keine mühseligen Software-Updates mehr nötig, wenn es in Docs neue zugängliche Features gibt. Die kommen ganz automatisch.

Ein Bereich, der bisher noch nicht zugänglich ist und den man nur beackern sollte, wenn man sich sehr gut mit seiner Hilfstechnologie auskennt, ist die Admin-Konsole der Google Apps for Business-Produkte. Wer also als Blinder selbst in die Administration solcher Systeme einsteigen möchte: Es geht, aber schön ist beim heutigen Standard anders. Aber auch hier gilt, dass die Produkte ja ständig von Google verbessert werden und somit auch hier bald eine deutliche Verbesserung zu erwarten sein dürfte!

Ich hoffe, dass dieser Rundgang dem einen oder der anderen hilft, sich mit den Google Clouddiensten vertrauter zu machen.

Und noch einmal der Hinweis: Alle oben genannten Dienste sind schon mit einem kostenlosen GMail-Konto nutzbar, man muss kein Geschäftskunde sein. Wenn also eine Umstellung geplant oder in einem eventuellen neuen Job verlangt wird, meine Empfehlung: GMail-Konto anlegen, wenn noch nicht vorhanden, und üben, üben, üben!

Viel Spaß! 🙂